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Erforscht Mannschaftskabinen, Kommandobrücke, Operationssaal und Friseurkabine und klettert hinab in den riesigen Maschinenraum

Regentage sind an der Westküste Portugals, vor allem nördlich von Lissabon auch im Sommer leider keine Seltenheit. Ich würde mich nach unserem letzten Sommerurlaub sogar dazu hinreißen lassen, dass sie geradezu als Normalität gelten dürfen. Und so haben wir uns an einem dieser trüben Tage etwas halbherzig dazu aufgerafft, das Museumsschiff Gil Eannes zu besuchen. Corona-bedingt erwartete uns sogar eine kleine Warteschlange am Eingang des Schiffes, doch als wir dort direkt neben dem Schiff warteten, hatten wir keine Ahnung, was für ein erlebnisreicher Nachmittag uns bevorstand.

Die Gil Eannes (II) ist 1955 von der Werft Estaleiros Navais de Viana do Castelo als Versorgungs- und Krankenhausschiff für die Weiße Flotte der Kabeljaufischer vom Stapel gelaufen. Sie war als Nachfolgerschiff der inzwischen veralteten Gil Eannes (I) erbaut wurden. Bei diesem Vorgängerschiff handelte es sich übrigens um die 1914 in Bremerhaven erbaute Lahneck, die im Zuge des 1. Weltkriegs wie 72 weitere in Portugal befindliche deutsche Schiffe beschlagnahmt wurde und damit die Kriegserklärung des Deutschen Reiches gegen Portugal auslöste.

Seinen Namen erhielten beide Schiffe von dem portugiesischen Entdecker Gil Eanes, der vermutlich aus Lagos stammte und 1434 als erster um das Kap Bojador herumsegelte. Bis dahin galt dieses Kap als Ende der befahrbaren Meeresgebiete. Als Folge dieser Meisterleistung wurde wahrscheinlich die neuartige Karavelle entwickelt, die unter anderem besser bei widrigen Strömungs- und Windverhältnissen eingesetzt werden konnte.

Kapitänskabine

Als die Gil Eannes im Mai 1955 zum ersten Mal nach Neufundland aufbrach, nahm sie eine Madonnen-Statue aus Fatima mit. Diese wurde unter Teilnahme der 4000 Fischer der portugiesischen Kabeljau-Fangflotte in einer Prozession zur Basilika von St. John’s gebracht, als Geschenk für die den portugiesischen Fischern stets wohlgesonnene kanadische Bevölkerung der Stadt.

Die Gil Eannes verfügte als Hospitalschiff über verschiedene Stationen, Behandlungsräume, eine Radiologie-Station, zwei Operationssäle, eine Kapelle und mehrere Freizeiträume. Es reisten drei Ärzte und Pfleger, aber auch ein Priester mit, sowie insgesamt 72 Offiziere und Manschaftsangehörige, 6 Passagiere und bis zu 74 Patienten. Bis 1973 begleitete die Gil Eannes die portugiesische Fangflotte zu den Fischgründen der Neufundlandbank, bis es zu Konflikten mit der kanadischen Regierung wegen Überfischung kam. Tatsächlich gilt der Kabeljau seit den 1990er Jahren als überfischt. Die riesigen Bestände um Neufundland und Grönland, die wahrscheinlich bereits die Wikinger nach Amerika gelockt haben, sind inzwischen enorm geschrumpft und der Kabeljau gehört nun zu den wegen Überfischung und Klimawandel besonders gefährdeten Fischarten der Weltmeere. 

Nach 1973 wurde die Gil Eannes als Frachtschiff für Kabeljau von Norwegen nach Portugal eingesetzt und 1975 noch einmal als Hospitalschiff in Angola, bis es dann nach einigen weiteren Jahren als Frachtschiff 1984 in Lissabon endgültig aufgelegt wurde und 1997 verschrottet werden sollte. Als die Stadt Viana do Castelo davon erfuhr, bemühte sie sich um das Schiff und machte es 1998 als Museumsschiff der Öffentlichkeit zugänglich.

Als wir 22 Jahre später mit Gesichtsmasken endlich ins Innere der Gil Eannes gelassen werden, sind wir sofort von dem hervorragenden Zustand des Schiffes beeindruckt. Es wirkt auf uns, als hätte es gerade erst in Viana do Castelo angelegt und die Besatzung sei nur gerade auf Landgang. Wir schauen uns die Arbeits- und Schlafräume der Funker an und dann die Kommandobrücke und die Kapitänskabine, die mit eigenem Arbeits- und Wohnraum, Badewanne und Schlafraum mit Telefon am besten von allen Kabinen ausgestattet ist. Alles im herrlichen Vintage-Stil der 1950er Jahre.

Etwas später geht es durch den Friseurraum, die große Küche und verschiedene Werkstätten und Lagerräume. Alle Räume sind hübsch mit den zugehörigen Utensilien bestückt und oft befinden sich einige Fotos von der ehemaligen Nutzung oder informative Schautafeln an den Wänden.

In einem “Weinkeller” finden wir alte Holzfässer mit Wein und Schnaps. Hinter einer unscheinbaren Tür öffnet sich uns plötzlich ein riesiger Raum, der vom Rumpf des Schiffes, bis hinauf zum Dach reicht: Der Maschinenraum mit den beiden gewaltigen Dieselmotoren. Selbst hier kann man steile Treppen hinauf und hinunter klettern und sich diese enormen Maschinen ganz in Ruhe ansehen und sich dabei ausmalen, wie sie einst gestampft und gewütet haben müssen.

Nach einigen weiteren Kabinen erreichen wir nun die eigentlichen Hospitalräume, zuerst die Behandlungsräume, den Röntgenraum und einige kleinere Patientenzimmer, die hübsche Apotheke und die Wäscherei, nebst Schlafkabinen für das jeweilige Personal. In der gleichen Etage finden sich auch die Freizeiträume, an deren Tischen gerade noch einige Männer und Frauen Schach und Dame gespielt haben müssen, das Studio des Pfarrers und die Bordbibliothek mit einer kleinen Auswahl portugiesischer und internationaler Fachbücher und Romane aus den 1970er und 1980er Jahren.

Unsere Kinder und wir Erwachsenen kommen nicht umhin, bei dem Anblick der gemütlichen Kabinen und funktionellen Räume, uns das alltägliche Leben an Bord vorzustellen. Das ewige Schaukeln des Ozeans, der Blick durch die kleinen Bullaugen hinaus auf stürmische See, karge Küsten, vorbei treibende Eisberge und die vielen Boote der Fangflotte. Vielleicht lassen wir uns dazu hinreißen, uns den Alltag romantischer vorzustellen, als er tatsächlich war, aber dieser Einblick in eine den meisten von uns nahezu unbekannte Welt ist spannend und überraschend.

Im Labor wird derweil weiter Blut untersucht und im Operationssaal gerade operiert. Dass die Chirurgen dort die gleichen Masken tragen, wie die heutigen Bootsbesucher verleitet uns zu einem kurzen externen Blick auf die bizarre Welt, in die uns die Corona-Pandemie vor gefühlten Ewigkeiten versetzt hat.

Zurück an Deck lichten sich die Wolken ein wenig und geben den Blick auf das Santuário do Sagrado Coração de Jesus oben auf dem Monte Santa Luzia frei, der pitoresken Kirche, die recht offensichtlich von der Pariser Basilika Sacré Cœur inspiriert wurde. Wir sind zwar erschöpft, aber – Kinder wie Erwachsene – sehr zufrieden mit den vielen Eindrücken, die wir in unserem Rundgang erhalten haben.

Viano do Castelo ist ein unerwartet hübsches Städtchen an der Mündung des hier recht beeindruckenden Rio Lima, in dem man bei schönem Wetter liebend gerne längere Zeit verweilen möchte. Die Straßen und Plätze erinnern mit ihren schönen Renaissance-, Manuelinik-, Barock- und Art Deco-Gebäuden an Städte wie Florenz und Ferrara.

Ganz in der Nähe des herrlichen Praça da República befindet sich übrigens die Pasteleria Manuel Natário, in der man unter anderem die in Portugal sehr beliebten Bolas de Berlim verköstigen kann. Manche behaupten sogar, die hiesigen mit Vanillepudding gefüllten und Zimt bestreuten Berliner wären die besten in ganz Portugal. Als Berliner muss ich zugeben, dass sie erheblich leckerer sind, als die in Berlin als Pfannkuchen bekannten Krapfen.

Der brasilianische Schriftsteller Jorge Amado freundete sich in dieser Pasteleria übrigens während seines europäischen Exils in den 1980er Jahren mit dem Konditor Manuel Natário an, der ihn zu der Figur Hauptmann Natário in seinem Roman Tocaia Grande inspiriert haben soll.

Hospitalschiff-Museum Gil Eannes
GPS: 41.690072, -8.830258

Öffnungszeiten:
Montag bis Freitag: 10:00 – 17:00
Samstag und Sonntag: Wahrscheinlich geschlossen

Außerdem an den Weihnachtsfeiertagen und Neujahr geschlossen.

Eintritt:
Erwachsene: 4,50 Euro
Kinder bis 6 Jahre: frei
Familienkarte (2 Erwachsene und bis zu 4 Kinder unter 16 Jahren): 10 Euro

Webseite: fundacaogileannes.pt
Facebook: facebook.com/naviogileannes


Unbedingt probieren:
Bolas de Berlim, Pão de Ló de Jorge Amado oder Biscoitos de Viana in der Pastelaria Confeitaria Manuel Natário.
GPS: 41.692763, -8.829031
Webseite: pastelariaconfeitariamanuelnatario.pt
Facebook: facebook.com/profile.php?id=100002131843411

Weitere Reisetipps zu Viana do Castelo:
Vielfältige Tipps zu den wichtigsten Sehenswürdigkeiten in der Altstadt, den wunderschönen Stränden, sowie Wandervorschläge und Restauranttipps findet Ihr übrigens im Hier Da Dort – Blog von Gabriele und Michael.

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4 Kommentare

Netreisetagebuch 25. Mai 2022 at 17:46

Hallo Jens,
das ist ja wirklich ein sehr interessantes Ausflugsziel. Ich habe mir ehrlich gesagt, vorher noch nie Gedanken darüber gemacht, ob es auf See ein Hospitalschiff gibt. Vielen Dank für diesen tollen Einblick.
Viele Grüße Annette

Antworten
Jens 25. Mai 2022 at 23:27

Mir ging es da nicht sehr anders, Annette. Sicherlich gab es aber auch kaum so spezielle Aktivitäten auf dem Meer, wie den Kabeljau-Fang im letzten Jahrhundert, wo Tausende portugiesische Fischer monatelang auf dem Meer lebten und arbeiteten. Ja, das Museumsschiff ließ uns wirklich in eine Zeit und einen Raum blicken, der uns bis dahin kaum bekannt war.
Herzliche Grüße, Jens

Antworten
Marie Schade 24. Mai 2022 at 20:15

Hallo Jens,
das ist wirklich ein ungeheuer spannender Bericht über das Hospitalschiff-Museum Gil Eannes. Es ist sehr erfreulich, dass es als Museum für die Öffentlichkeit erhalten und zugänglich gemacht wurde. Es befindet sich in einem unglaublich gepfegten Zustand.
In einem ähnlichen Schiff fuhr ich in den 1960er Jahren nach Südamerika, das war wirklich ein “Seelenverkäufer”, ein Auswandererschiff mit engen 6-Bett-Kabinen und auch sonst äußerst schlicht. Aber ich war jung, da war es mir egal, ich wollte nur weg.
Ich finde es immer wieder schön, dass Ihr Euren Kindern das Wertvollste schenkt, was man Kindern schenken kann: viel Zeit und das Bewusstsein für die Schönheit der Natur und das Besondere in ihrer Heimat.
LG Marie

Antworten
Jens 24. Mai 2022 at 22:02

Danke Dir, Marie, für Deinen lieben Kommentar. Deine Reise nach Südamerika klingt ja auch fantastisch. Bestimmt war das ein herrliches Abenteuer! Und was die Ausflüge mit Kindern angeht, so bin ich selbst so aufgewachsen. Jedes Wochenende ein Ausflug und jeden Sommer ein Abenteuer, allerdings ging es dann fast immer zu den osteuropäischen Nachbarn, also vor allem nach Tschechien und in die wunderschöne Slowakei. Herzliche Grüße, Jens

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