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Den schönsten Kürbis schnitzen, zu traditioneller Dudelsack-Musik tanzen, ein schauriges Spektakel besuchen und schließlich in finsterer Nacht durch die gespenstischen, uralten Gemäuer bis hinauf zu einer riesigen Hexenfigur pilgern

Eigentlich wollten wir in den Herbstferien zum Wandern in die zentralportugiesischen Berge fahren, aber der wunderbare, diesjährige Spätsommer sollte genau an diesem Wochenende durch eine ergiebige Regenfront unterbrochen werden. Obendrein wollten die Kinder lieber zu Halloween in Lissabon bleiben, um an den Türen im Haus der Großeltern nach Süßigkeiten fragen zu können: Um doce ou um susto?

Am Tag vor Halloween hörten wir allerdings von der gruseligsten Halloween-Party Portugals im äußersten Norden des Landes im kleinen Dorf Vilar de Perdizes, unmittelbar an der Grenze zu Galizien. Obwohl Portugal kein sehr großes Land ist, so ist diese abgelegene Gegend namens Trás-os-Montes (das sprichwörtliche Hinter den Bergen) doch immernoch schwer erreichbar. Sie liegt tatsächlich hinter endlosen Bergketten und ist erst seit wenigen Jahren über weite, auffallend wenig befahrene Autobahnen und Fernstraßen erreichbar.

Die Aussicht auf ein gruseliges Halloween-Fest der Extraklasse überzeugte aber dann nicht nur uns Eltern, sondern auch unsere beiden Töchter, die sogleich einige Verkleidungsutensilien in unser Wohnmobil brachten. Für die endlose Fahrt durch heftigen Regen haben wir ihnen ein paar Halloween-Filme aufs Ipad geladen und sind dann über alle Berge Portugals bis hinauf ins ferne Chaves gefahren. 

Vilar de Perdizes ist bekannt für Hexerei, Zaubertränke und traditionelle Heilmittel. Jedes Jahr treffen sich dort Anhänger der sogenannten Medicina Popular zu einer Konferenz, die sich mit den Traditionen der Heilung durch Kräuter und Heilpflanzen befassen. Seit 2002 werden zudem im nahen Montalegre jeden Freitag den 13. wilde Parties gefeiert, die auf alte galizische Traditionen zurückgehen sollen. Hexen und Dämonen streifen durch das Dorf, mittelalterliche Musik erschallt in allen Straßen, Menschen feiern die ganze Nacht und kurz vor Mitternacht wird das Böse beschworen.

Vor ein paar Jahren wurde dieser Brauch auch für Halloween, bzw. den Dia das Bruxas (Tag der Hexen) in Vilar de Perdizes adaptiert. Schon als wir mitten in der kargen Hochebene auf den Ortseingang treffen, begrüßen uns riesige Hexen und Teufel vielversprechend im Regengrau des Nachmittags. Wir suchen uns einen ruhigen Platz im Dorf, wo wir unser Wohnmobil parken können und sind beeindruckt von der vielfältigen Dekoration. An allen Straßen, Ecken und Häusern stehen finster grinsende Kürbisköpfe, in einigen Bäumen hängen Gespenster und der zentrale Platz ist gefüllt mit Särgen, gehörnten Totenköpfen, sowie einem Eingang ins Reich der Toten. Von der großen Bühne daneben hängen hinterhältig grinsende Teufelsfiguren herab und lassen erahnen, was es hier später zu sehen geben wird.

Noch geht es aber entspannt zu. Mittelalterliche Musik mit Trommeln und Dudelsack treibt mehrere Familien zum Tanzen an, ein paar Stände verkaufen traditionelle Handarbeiten und Speisen, eine Frau verwandelt mit Schminkfarben harmlose Besucher in Hexen, Vampire und grinsende Kürbisköpfe. Canal Porto interviewt einige besonders auffällige magische Gestalten.

Der Kürbisschnitzwettbewerb zieht nun alle Aufmerksamkeit auf sich. Sehr kreativ verzieren Einzelkünstler, Familien und Grüppchen riesige Kürbisse, um den Wettbewerb zu gewinnen. Umbella Moura, die umtriebige Präsidentin des hiesigen Heimatvereins lobt schließlich die drei schönsten Exemplare aus, deren gemeines Grinsen durch die zunehmende Dunkelheit leuchtet. Angesichts von so viel Kreativität und Spaß bereuen wir, dass wir uns nicht auch direkt am Wettbewerb beteiligt haben.

Etwas später setzt der Regen wieder ein. Es wird wieder sehr viel ungemütlicher, aber alle, die gekommen sind, ignorieren das gekonnt. Statt den Festplatz zu verlassen, scharen sie sich jetzt um ein Zelt, in dem nun eine leckere Caldo Verde Suppe und verschiedene einfache Speisen verkauft werden, die wir dann unterm Regenschirm genießen.

Ein paar Stunden danach beginnt das Spektakel auf der großen Bühne. Wieder von mittelalterlicher Musik begleitet, treten neben dem Teufel und Gott verschiedene finstere Gestalten auf. Auch der berühmte Pater Fontes, Urheber all dieser gruseligen Festlichkeiten, kommt unter Jubelrufen auf die Bühne. Er gilt als Rebell innerhalb der Kirche, stellt unter anderem seit langem das Zölibat in Frage, engagierte sich gegen die Diktatur, begründete den Volksmedizin-Kongress und sieht sich selbst als Ethnologe. Er sagt von sich, dass er den Rosenkranz in der Hand und den Teufel im Herzen habe und ist davon überzeugt, dass man den Teufel nur mit Freude verjagen könne. So ist wohl auch diese Halloween-Party zu verstehen.

Das Spektakel, dem wir im strömenden Regen beiwohnen, wirkt sehr überzeugend auf uns. Archaische Stimmen, Instrumente und die ausdrucksstarken Verkleidungen verbreiten eine gespenstische Atmosphäre und ziehen uns in ihren Bann. 

Schließlich brechen alle zu einem Spaziergang durchs Dorf auf. Nach ein paar Minuten werden die Straßenlichter gelöscht und nur leuchtende Kürbisköpfe erhellen hier und dort die düsteren Gemäuer, durch die wir stolpern. Es geht den Hang hinauf zu einer riesigen Hexenfigur, die über das Dorf wacht. Dort treten schließlich Akrobaten und Feuerschlucker auf. 

Nachdem die Spukgesellschaft sich endlich wieder an der Hauptbühne eingefunden hat, beginnt Pater Fontes mit der Teufelsaustreibung. Wir liegen allerdings schon gemütlich in unserem kühlen Wohnmobil und schlafen friedlich, träumen allenfalls von den Kobolden, Untoten, Teufeln, Hexen, Zauberern und Dämonen die in dieser Nacht durch das Dorf streifen.

Als ich am nächsten Morgen verschlafen aus dem Auto klettere, um den Gashahn zu überprüfen, stehe ich António Fontes, dem inzwischen deutlich an Parkinson leidenden Pater gegenüber, der sich freundlich bei mir erkundigt, ob wir gut geschlafen hätten. Etwas später machen wir uns auf den Weg hinauf zur riesigen Hexe, die noch immer über dem Dorf wacht und uns mit ihren knochigen Fingern den Eindruck vermittelt, als wolle sie uns noch etwas zeigen oder erklären. Da wir sie zwar gut sehen können, den Weg hinauf aber nicht finden, fragen wir einen Bauern, der uns entgegen kommt. Er erklärt mit eindeutigen Gesten, dass er taubstumm ist, beschreibt uns dann aber doch geduldig den Weg in Zeichensprache. Weit oben, rätseln wir erneut, wohin wir laufen sollen und erspähen in großer Entfernung unten im Dorf unseren Helfer, der uns ebenfalls bemerkt hat und erneut die Richtung weist.

Neben der Hexe befindet sich eine herrliche Schaukel, die einen schon fast in den Himmel befördern möchte. Nicht weit entfernt gibt es noch den Altar de Pena Escrita zu entdecken, der der römischen Larouco-Gottheit gewidmet war.

Wir wollten ursprünglich noch nach Vila de Boticas fahren, um ein paar Flaschen des nur dort gekelterten Totenweins (Vinho dos Mortos) zu erwerben, entschließen uns aber dann, den direkten Weg nach Chaves zu nehmen, um noch eine kleine Wanderung über den Holzstegweg Passadiços dos Moinhos de São Lourenço unternehmen zu können. 

Im idyllischen Chaves selbst findet übrigens zwischen dem 30. Oktober und dem 1. November das wichtigste Stadtfest des Jahres statt, die Feira dos Santos, die auf landwirtschaftliche Markttage zurück geht und die Bewohner dieser Region auch heute noch zu einem begeisterten Shopping-Dauerlauf verführt. Wir verbringen den Abend schließlich auf dem kleinen Jahrmarkt voller zumeist veralteter Fahrgeschäfte am schönen Tâmega Fluss.

Wohnmobilstellplätze in Vilar de Perdizes (am 31. Oktober wird hier die Übernachtung problemlos geduldet):
41.85002829136111, -7.635271791435996
41.849983067508965, -7.633601475416895
41.85319113856664, -7.632191052122795 (sehr beliebt, aber sehr nahe am Festplatz)

Hauptbühne:
41.85419263435989, -7.632482769162315

Hexenschaukel:
41.849268628031105, -7.630190046731037

Römischer Altar:
41.843524348220086, -7.642427566355202

Halloween:
Jedes Jahr am 31. Oktober, ab ca. 13:31 Uhr
Webseite: cm-montalegre.pt/pages/823?news_id=5036

Freitag 13. -Parties:
Jeden Freitag den 13. in Montalegre ab 13:13 Uhr
Webseite: sexta13.pt
Facebook: facebook.com/sexta13montalegre/
Nächste Termine:
13. Mai 2022
13. Januar 2023
13. Oktober 2023
13. September 2024
13. Dezember 2024

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2 Kommentare

Marie Schade 29. September 2022 at 6:49

Hallo Jens,
solch ein etwas gruseliges Fest hätte ich gar nicht in Portugal vermutet. Das sind die Feinheiten, die nur ein Portugal-Insider kennen kann. Immer wieder schön finde ich, dass Ihr Eure beiden Mädchen voll integriert und sie das Land von klein auf sehr gut kennen und lieben lernen.
Ich war einige Male in verschiedenen Gegenden von Portugal, aber wie ich sehe, gibt es sehr viel zu entdecken, wenn man die üblichen Touristenorte verlässt.
Herzlichst Marie

Antworten
Jens 29. September 2022 at 20:04

Marie, Du hast natürlich recht, so ein Land hat so unglaublich mehr zu bieten, als dass, was wir auf einer Reise kennen lernen können. Zwischen Bergen und Meer ist ja selten nur Wüste. Ich bin auch immer wieder erstaunt, wenn ich Artikel in anderen Reiseblogs lese. Natürlich faszinieren mich vor allem die außergewöhnlichen Orte und Aktivitäten. Und bei diesem Reiseziel waren wir vier alle gleichermaßen davon überzeugt, dass es uns schon gefallen würde. Hat es auch! Wenn es nicht so weit wäre würde ich in diesem Jahr direkt wieder hinfahren. Lieben Dank für Deinen netten Kommentar!

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