Eine Zeitreise in das blühende Lissabon von 1755 unternehmen, eines der verheerendsten Erdbeben der Menschheitsgeschichte miterleben und ganz nebenbei einen Geschichts-, Architektur- und Philosophie-Kurs belegen
Als am 1. November 1755, morgens um 9:40 Uhr die Erde bebte, endete für die Stadt Lissabon endgültig die Zeit der Blüte, des Fortschritts und des Reichtums, die mit der Entdeckung großer Gold- und Diamantvorkommen Ende des 17. Jahrhunderts in Brasilien begonnen hatte. Das ungewöhnlich starke und lange Erdbeben zerstörte in 6 Minuten einen Großteil der Gebäude und verursachte zahlreiche Brände, die die meisten Stadtgebiete in Schutt und Asche legten. Ein gewaltiger Tsunami erreichte 40 Minuten später den Hafen und riss viele hier vor den Bränden Schutzsuchende in den Tod, so dass letztlich zehntausende, vielleicht sogar hunderttausend Menschen starben. Nachbeben, weitere Flutwellen und tagelang wütende Brände verwandelten die Großstadt und natürlich auch die ganze portugiesische Küste, sowie andere Küsten der Umgebung in ein Trümmer-Inferno. Die Ria Formosa an der Algarve entstand übrigens genau an eben diesem Tag.
Der königliche Palast in Lissabon mit einer der wertvollsten Bibliotheken Europas wurde fast vollständig zerstört und der junge König hatte es seiner Tochter zu verdanken, dass er und sein gesamter Hofstaat nicht ebenfalls an diesem Allerheiligen-Tag ausgelöscht wurden, denn Prinzessin Maria hatte darum gebeten, den Feiertag im Monsanto-Wald oberhalb von Belém zu verbringen. Trotzdem hat diese verheerendste europäische Naturkatastrophe der Neuzeit José I. so sehr traumatisiert, dass dieser nie wieder in einem Gebäude wohnen wollte und den Rest seiner Tage in einer riesigen Zeltstadt oberhalb Beléms residierte. Erst Tochter Maria begann schließlich dort mit dem Bau des neuen Königspalastes im heutigen Stadtteil Ajuda.
Das große Erdbeben von 1755 hatte jedoch langfristig auch durchaus positive Auswirkungen auf die europäischen Kulturen, denn es beflügelte die Aufklärung und gilt als das erste Medienereignis Europas. Tausende Artikel darüber wurden in den Folgejahren veröffentlicht, sowie zahlreiche literarische und philosophische Texte verfasst. Der damals sehr einflussreiche Staatssekretär José de Carvalho e Melo (der spätere Marquês de Pombal) zeichnete sich durch einen schnellen Wiederaufbau der Stadt nach modernen Ideen aus, und beförderte mit einer umfangreichen Erdbeben-Statistik, die er in Portugal systematisch anfertigen ließ, die Entstehung einer neuen Wissenschaft, der Seismologie. Er war jedoch keineswegs eine ausschließlich schillernde Persönlichkeit, sondern fiel auch durch seine Kaltblütigkeit bei den Távoras-Prozessen auf, bei dem zwei portugiesische Adelsfamilien eines Attentats auf den König bezichtigt auf grausame Weise gefoltert und hingerichtet wurden.
All diesen vielfältigen Themen, Geschichten und Entwicklungen nimmt sich das im April 2022 eröffnete Experience-Center Quake in Belém an. Nachdem uns unsere ältere Tochter bereits vor einiger Zeit von einem Besuch mit ihrer Schulklasse begeistert berichtete, wie dort das Erdbeben nacherlebt werden könne, waren wir schließlich mit beiden Kindern, der Tante und den Großeltern dort und haben uns das Quake gemeinsam angeschaut.
Ursprünglich von dem aus Rio Maior stammenden Paar Ricardo Clemente und Maria João als VR Simulator geplant, entstand das Experience Center schließlich in Zusammenarbeit mit dem erfahrenen niederländischen Unternehmen Jora Vision, das bereits für Disney und LEGO tätig war. In 10 Räumen wird dort ein immersives Erlebnis geboten, heraufbeschworen durch Videomapping, interaktive Technologien und moderne Simulatoren.
Im Zehnminuten-Takt werden kleine Gruppen in die einzelnen Räume eingelassen. Eine Rahmenhandlung leitet den Besuch ein, fordert Euch zur Teilnahme an einer Expedition in die Vergangenheit auf, wird jedoch erst zum Ende Eures Aufenthalts im Quake fortgeführt. Ihr beginnt Eure Besichtigung im Büro des Wissenschaftlers, dürft in einem Trainingszentrum allerhand Modelle zur Erdbebenforschung ausprobieren und lernt mit Euren begeisterten Kindern, wie Ihr Euch bei einem Erdbeben am besten verhaltet. Dann könnt Ihr das heftige Erdbeben von San Francisco aus dem Jahr 1906 in einem Simulator erleben und werdet dabei gehörig durchgeschüttelt.
Nun sind Eltern und Kinder ausreichend für ihre Expedition vorbereitet und können im Zeittunnel bis ins Jahr 1755 zurück reisen. Und tatsächlich öffnet sich jetzt das Tor zu einem morgendlichen Lissabon, welches Ihr in Ruhe entdecken könnt. Hier und dort könnt Ihr Euch mit Kopfhörern auf Portugiesisch, Englisch, Französisch und Spanisch über das Leben zu jener Zeit informieren und wenn Ihr zu einem späteren Zeitpunkt noch weitere Informationen zum Thema erhalten wollt, dies mit Eurem Armband bei den jeweiligen Thementafeln vermerken. All diese Informationen bekommt Ihr dann nach Eurem Besuch per Email zugeschickt, übrigens auch die Fotos, die Ihr im Museum an zwei Wänden machen lassen könnt.
Nach 10 Minuten des Herumschlenderns im Lissabon des 18. Jahrhunderts rufen die Glocken zum Eingang der Kathedrale. Es ist Allerheiligen und Ihr könnt nun dem Gottesdienst beiwohnen, während dem die Katastrophe über die Stadt hereinbrach. Schon spürt Ihr die ersten Schockwellen durch die Bankreihen brechen, dann folgen auch gleich die heftigen Erdstöße, die die Mauern der Kirche zum Bersten bringen und die verheerenden Feuer entfachen.
Wenn Ihr nun in den nächsten Raum gerufen werdet, könnt Ihr den Rauch riechen und die Hitze der Brände spüren, seht die Zerstörungen und werdet schließlich auch noch Zeuge des Tsunamis, der gewaltig vom Tejo her in die Stadt hineinbricht, dabei zwar die Feuer dort löscht, jedoch alle am Hafen Schutzsuchenden in den Tod reißt. Dieser Raum, wie auch die beiden zuvor, erlauben Euch tatsächlich, das heftigste europäische Erdbeben der Neuzeit mit allen Sinnen zu erleben. Sowohl uns, als auch unseren Kindern haben diese Räume des Museums auch am besten gefallen.
Sicherlich gibt es nirgends sonst ein solches Museum, dass sich einer einzigen Naturkatastrophe so ausführlich widmet. Da sehen wir gerne darüber hinweg, dass die Rahmenhandlung doch etwas konstruiert und die Erzählung von Geschichte in einer immersiven Animation etwas unseriös wirkt. Auch wenn angedeutet wird, was für tiefgreifende Auswirkungen das Erdbeben von Lissabon auf die europäische Philosophie, Literatur, Politik und Architektur gehabt hat, so wird die Komplexität dieser Thematik nicht wirklich vermittelt. Zumindest die Erwachsenen hätten sich vielfältigere Details, weniger bekannte Zeugnisse des Erdbebens und vor allem etwas mehr Zeit gewünscht, die einzelnen Räume zu erkunden.
Aber für Familien ist das Quake aktuell sicherlich eine der spannendsten Sehenswürdigkeiten Lissabons und lädt Kinder wie Erwachsene gleichermaßen dazu ein, auch nach dem Besuch noch weiter zu forschen. Wir haben inspiriert von unserem Besuch auch ausführlich über Sicherheitsvorkehrungen diskutiert, die wir in unserer Lissabonner Wohnung ergreifen können, um uns auf das nächste Erdbeben vorzubereiten. Ein kleineres Beben haben wir bereits erlebt, aber bei diesem gab es glücklicherweise keine nennenswerte Sachschäden, nur ein wenig Panik kam doch auf. Der Betreiber des Fado-Clubs, in dem wir gerade gemütlich den traurigschönen Gesängen der Amateur-Fadistas lauschten, schickte alle Besucher*innen vorsorglich heim.
GPS: 38.69698100303134, -9.197082737190927
Anfahrt
Vom Stadtzentrum: Tram 15E und 18E
Haltestelle: Belém
Parkplatz
Direkt vorm Quake: 38.6967414,-9.1979218237
Oder auf dem nahen Parkplatz der Cordoaria: 38.69685288771119, -9.192975378547624
Öffnungszeiten
Montag – Donnerstag: 14:00 – 17:00 Uhr
Freitag – Sonntag: 10:00 – 17:00 Uhr
Eintrittskarten
Erwachsene: 26 €
Kinder (6-12 Jahre): 18 €
Senioren (ab 65 Jahre): 21 €
Ich empfehle Euch dringend, die Karten im Voraus zu buchen, weil Ihr Euch dadurch zum Einen längere Wartezeiten erspart, zum Anderen könnte der Tag auch bereits komplett ausgebucht sein. Außerdem gibt es für den Online-Erwerb 10% Nachlass.
Zum Kartenverkauf: lisbonquake.com
Webseite
lisbonquake.com
Zugang
Das Quake ist mit Voranmeldung auch für mobilitätseingeschränkte Menschen zugänglich. Für Familien mit Babies würde ich jedoch unbedingt Tragetücher oder -Tragegestelle empfehlen. Die Erdbebensimulatoren sind ausdrücklich nicht für Schwangere geeignet, ein Museumsbesuch lohnt jedoch meiner Meinung nach trotzdem.
Cafe
Ein hübsches Cafe mit Blick auf den Tejo lädt zum Verweilen ein. Ich würde Euch allerdings einen Besuch in der berühmten Padaria Belém empfehlen, um dort die köstlichen Pastéis de Belém zu genießen. Wenn gerade sehr viel los ist, könnt Ihr Euch einfach an die Straßenverkaufschlange anstellen, die auch wenn sie lang erscheint, meist nur 5 Minuten Wartezeit mit sich bringt. Und dann erwerbt Ihr einen Karton mit 6 köstlichen und noch warmen Pastéis, die Ihr dann am Tejo-Ufer vernaschen könnt.
Was gibt es sonst noch in Belém zu erleben?
In Belém gibt es viel zu erleben. Neben den berühmten Sehenswürdigkeiten (Torre de Belém, Jerónimos Kloster) empfehle ich Euch einen Besuch im CCB und speziell im Museu Coleção Berardo, im MAAT, im Botanischen Garten oder bei unseren Freund*innen in der gemütlichen und familienfreundlichen Weinerei Adega Belém.
4 Kommentare
Sehr spannend! Das würde meinen Jungs (11 und 15) auch gefallen. Tatsächlich gibt es so ein ähnliches Museum bei uns in der Eifel, die ja bekanntlich vulkanisch geprägt ist. Das Museum bezieht sich aber eher auf die erloschenen Vulkane (Maare). Allerdings gibt es auch einen Erdbeben-Simulator, denn wenn der Laacher Vulkan nochmal ausbrechen sollte, wird es ein Erdbeben geben, dass auch Köln noch trifft. Man rechnet so in 10.000 Jahren damit ;). Die Lage sieht da in Lissabon natürlich anders aus, daher finde ich es super, dass man so noch näher an den Thema herangeführt wird und sich auch ein Stück weit für den Ernstfall vorbereiten kann. LG, Nadine
Ja, ich bin sicher, dass es Deinen Söhne gefallen würde! Wie heißt denn dass Museum in der Eifel? Das würde mich schon sehr interessieren, da wir bestimmt bald einmal die Eifel besuchen werden. Da zieht es mich schon lange hin.
Unsere Kinder werden hier ja in der Schule auch auf Erdbeben vorbereitet und es gibt bei ihnen sogar einen speziellen Erdbeben-Alarm. Sie wussten eigentlich schon recht gut, was zu tun ist. Und im Museum gab es so einen Raum, in dem sie das dann alles anwenden sollten und dabei ziemlich gut waren. Während wir Erwachsene etwas unentschlossen dastanden, und nicht sicher waren, was jeweils zu tun sei. Das Quake bereitet in diesem Sinn tatsächlich gut auf das nächste Erdbeben vor, denn es vertritt die Meinung, dass es auf jeden Fall stattfinden wird und wir nur gut vorbereitet sein sollten.
Herzliche Grüße,
Jens
Hallo Jens!
Vielen Dank für den spannenden Bericht! Wir haben hier auch Angst vor Erdbeben und Tsunamis. Aber so ein tolles Museum haben wir nicht. Ich vermute, wenn man es einmal besucht hat, wird man im Falle einer solchen Naturkatastrophe genau das richtige machen. Großartig!
Liebe Grüße
Felicitas
Hallo Felicitas,
nun ja, das Richtige ist hierbei ja tatsächlich eine Erwägungsentscheidung. Sollen wir unter den Tisch im Wohnzimmer rennen und diesen unter die Türbögen ziehen, oder besser ins Büro eilen und hoffen, dass die dünnen Schreibtische schwerem Schutt standhalten? In diesem Fall wären wir dann näher an der Straße und könnten uns vielleicht besser befreien. Immerhin haben wir gelernt, dass hinaus auf die Straße zu rennen, nicht wirklich eine gute Option ist, was ich bisher immer für die geeignetste Lösung hielt. Ein anderes Problem ist, dass das Erdbeben ja mitten in der Nacht kommen könnte. Das ist mir schonmal in Italien passiert und ehe ich aufgewacht bin und verstanden habe, was geschieht, war es auch schon vorbei, bzw. wäre es vielleicht schon zu spät.
Aber wir versuchen das Thema im Blick zu behalten und uns vorzubereiten. Das Quake hat hier eine ganz sinnvolle Checkliste zusammen gestellt: https://lisbonquake.com/en-GB/blog/be-prepared
Herzliche Grüße,
Jens