Durch ein gemütliches altes Dorf spazieren, über einen Bauernmarkt schlendern, den Verheiratungen der hiesigen Singles zuschauen, von gespenstischen Caretos angetanzt werden und schließlich einem fulminanten Feuerritual beiwohnen
Schon seit Jahren kommen mir die außergewöhnlichen Karnevalsfeste im fernen Trás-os-Montes immer wieder zu Ohren. Und endlich, in diesem Jahr, haben wir uns auf den weiten Weg nach Nordosten aufgemacht, um uns eine der spektakulärsten Faschingsfeiern Portugals selbst anzuschauen. In Podence tanzen seit Jahrhunderten die teuflischen Caretos durch die Straßen und verwandeln das kleine Dorf in ein Karnevalsspektakel der besonderen Art. So besonders, dass die Unesco den Karneval von Podence im Jahr 2019 als Immaterielles Weltkulturerbe klassifiziert hat. Durchaus zu Recht, wie wir finden, denn es gibt einiges zu sehen, bestaunen und erleben.
Wir sind mit dem Wohnmobil von Lissabon aus aufgebrochen und erreichen Podence am frühen Abend. Wie bei anderen portugiesischen Festen und Festivals üblich, hat die Gemeinde mehrere große Wiesen als Parkplätze zur Verfügung gestellt und hier erwarten uns auch schon viele andere Camper. Nachdem unsere Großstadtkinder sich ausgiebig an den Schlammlöchern der Wiese erfreut haben, spazieren wir auch schon in das kleine Dörfchen hinein.
Podence ist nicht unbedingt ein malerisches Dorf, so wie die beliebten historischen Dörfer Portugals, aber es hat durchaus Atmosphäre und wirkt durch und durch gemütlich. Eine Vielzahl großer Murais schmückt die alten Häuserwände. Riesige Caretos leuchten durch die Nacht, außerdem ein früherer Premierminister, der aktuelle Staatspräsident und natürlich der Fußball-Megastar Ronaldo. Viele Scheunen und Garagen verführen mit offenen Toren, rustikaler, gemütlicher Einrichtung und entspannter Atmosphäre sehr erfolgreich die herumschlendernden, hungrige Gäste zum Eintreten. Tische stehen in den Seitenstraßen, hier und dort wird gegrillt. Und vereinzelt läuft uns auch schon ein neckischer Careto über den Weg.
Früher ausschließlich von Männern dargestellt, wurde dieser Brauch inzwischen in die Gegenwart adaptiert und nun mischen sich auch mehr und mehr junge Frauen unter die Careto-Banden. Durch eine Weißblech- oder Ledermaske vollständig unkenntlich gemacht, tragen die Caretos Kostüme mit farbigen Wollfransen. Sie haben lange bunte Mützen auf, die sie übermütig herumwirbeln, mit denen sie aber auch gerne über die Gesichter der staunenden Kinder hinwegpuscheln. Und bei jeder Bewegung die sie vollführen klingen ihre Kuhglöckchen rhythmisch mit. An diesem Gebimmel erkennen wir von nun an problemlos, wenn sich ein neuer Careto annähert. Und sie nähern sich oft mit so kräftigen Sprüngen, als wären sie tatsächlich magische Wesen und keine verkleideten Menschen.
Sobald ein Careto auf eine alleinstehende Frau trifft, tanzt er diese mit einem immensen Hüftschwung an, ein Ritual dass sicherlich auf die uralten keltischen Fruchtbarkeitsriten zurückgeht, aus denen sich diese Tradition entwickelt hat. Diese symbolischen Tänze werden übrigens chocalhadas genannt und sollen wohl auch bei der hiesigen Partnersuche hilfreich sein. Heutzutage werden allerdings nicht mehr nur alleinstehende Frauen angetanzt. Auch verheiratete Frauen, Touristeninnen oder Besucherinnen des Dorfes dürfen sich über diese kleine Aufmerksamkeit freuen.
Neben den Caretos gibt es noch drei weitere typische Charaktere, die Ihr in Podence hin und wieder zu sehen bekommt, die Facanitos, junge Caretos, die den älteren hinterher eilen und ihr Verhalten kopieren, um es selbst zu erlernen, Matrafonas, gesichtslos verkleidete Frauen mit Buckeln, die als einzige von den Caretos verschont werden und die Pulhas casamenteiras, die wir etwas später am Abend oben vor der Kirche in Aktion sehen werden.
Wir erforschen aber erst einmal das kleine Museum Casa do Careto, das heute besonders gut besucht ist. Ein eindrucksvoller Film mit archaischen Szenen zieht auch unsere Kinder in seinen Bann. Es gibt Kostüme und Masken zu sehen, Fotos und Gemälde von Caretos. Vor einem Gemälde steht ein älterer Mann und beginnt plötzlich ein Lied vom überall beliebten Revolutionsmusiker José Afonso über diesen Karneval zu singen. Spontan findet sich ein Publikum zusammen. Direkt daneben verkauft ein kleiner Souvenirladen Glöckchen, Masken, Kühlschrankmagneten und allerlei ähnliche Andenken. Auch ein beliebtes Restaurant, in dem regionale Küche serviert wird, befindet sich im gleichen Haus.
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Wir schlendern nun über den Bauernmarkt direkt gegenüber der Casa do Careto, wo neben regionalen Produkten, Käsen, Süßigkeiten, Trödelwaren, auch Careto-Glöckchen, Mützen, T-Shirts und vieles mehr verkauft wird. Hier sorgen auch mehrere Crêpe-Küchen dafür, dass wir immer mal wieder vorbei schauen.
Irgendwann werden Fackeln vor dem Museum ausgegeben und ein Dudelsackmusiker begleitet von zwei Trommlern führt plötzlich eine kleine Prozession an, der auch eine kleine Gruppe Caretos angehören, sowie drei mit Masken und langen Gewändern verkleidete Männer, die sich später als Pulhas casamenteiras entpuppen. Farbenfroh und energisch geht es jetzt hinauf zur Kirche. Feuerwerkskörper knallen, Caretos tanzen wild herum, Jubelschreie.
An der Kirche angekommen, beginnen die Pulhas casamenteiras durch einen Trichter, der sonst zum Einfüllen der Weinfässer benutzt wird, paarweise die Namen der örtlichen Singles, die verheiratet werden sollen, in Versform zu singen. Außerdem wird ihnen eine passende Mitgift versprochen, sowie ein Stück Land, wo sie leben sollen. Der Trichter dient dabei weniger der Stimmverstärkung, vielmehr soll er die Stimmen der Rufenden unkenntlich machen und so die Urheber dieses Schabernacks verschleiern. Am Morgen des nächsten Tages wird der aufgerufene Mann traditionell seine ausgeloste Braut besuchen und erhält von ihr als Dankeschön Süßigkeiten und guten Wein.
Obwohl noch eine magische Maskennacht mit einer mystischen Parade durch das Dorf ansteht, machen wir uns müde auf den Weg zu unserem Camper. Und während die Kinder in den Schlaf sinken, sehen wir, wie draußen ein Feuerwerk die Nacht verzaubert.
Für den nächsten Morgen haben wir uns bei einem Masken-Workshop angemeldet. Wie sich herausstellt wird dieser vom Präsidenten des Karnevalvereins selbst angeleitet. Jedes Kind bekommt eine hübsche rote Weißblechmaske, welche es dann mit schwarzen und weißen Permanent-Markern nach Belieben bemalen darf. Workshop ist hier vielleicht doch etwas zu hoch gegriffen, denn es gibt quasi keine Anleitung, aber das Ergebnis kann sich dann schon sehen lassen.
Als wir aus der Werkstatt auf die Dorfstraße hinaustreten, stellen wir überrascht fest, wie voll es inzwischen geworden ist. Heute am letzten Tag steht noch die Prozession der Matrafonas an, sowie die Queima do Entrudo auf dem Festplatz, bei der symbolisch eine riesige Careto-Figur verbrannt wird.
Immer mehr Caretos stürmen durch die Straßen, plötzlich kommt eine ganze Bande von Ihnen zum Festplatz herab, auf dem die aus Reisig erbaute Careto-Figur schon seit Tagen auf ihre Verbrennung wartet. Sie holen einen großen Leiterwagen und ziehen lärmend wieder zurück ins Dorf.
Bevor es dunkel wird, suchen wir uns einen guten Platz auf einer Mauer am Festplatz. Hier werden noch letzte Karneval-Fotos gemacht. Dafür wurden verschiedene Settings aufgebaut: eine riesige Schaukel, ein begehbares Careto-Gesicht, in das Liebespaare hinein klettern können, eine Masken-Galerie, usw.
Endlich kommen alle Caretos als riesige Gruppe vereint die Dorfstraße herab, angeführt vom Präsidenten des Karnevalvereins, dahinter der Leiterwagen mit einem Careto darauf, der wild mit seinem Hirtenstab die Luft zerschneidet. Die Prozession erreicht den Festplatz. Die Caretos umtanzen die riesige Caretofigur und zünden sie schließlich an.
Lichterloh brennt der Careto-Riese, während die Caretos zu seinen Füßen ihn immer und immer wieder umrunden. Später schlagen sie mit ihren Hirtenstäben in die brennende Figur und sorgen für einen schaurigen Funkenregen. Schließlich bricht auch noch ein knallendes Feuerwerk neben dem Festplatz los. In der Abenddämmerung wirken Feuer, Farben und Musik auf uns sehr archaisch. Sowohl Kinder als auch Erwachsene lassen sich von diesen Bildern betören und werden diese noch Jahre gedanklich heraufbeschwören können.
Parkplatz während des Karnevals, auch für Wohnmobile geeignet
GPS: 41.587167, -6.929750
Casa do Careto (Museum und Restaurant)
GPS: 41.589454, -6.927689
Webseite: cm-macedodecavaleiros.pt
Angeschlossen: Restaurante O Careto
Karnevalsverein
Webseite: caretosdepodence.pt
Facebook: facebook.com
Tipp
Besonders spannend ist der Abend des Faschingsmontag und der Dienstag mit der Verbrennung des riesigen Careto. Für letztere solltet Ihr Euch rechtzeitig (gegen 16 Uhr) einen Mauerplatz am Festplatz reservieren. Wir hatten eine Picknickdecke, Essen und Spiele dabei, was sehr nützlich war, um die Wartezeit zu überbrücken.
Umgebung
Im Sommer ist der Stausee Barragem do Azibo sehr beliebt. Keine 4 Kilometer von Podence entfernt findet Ihr beispielsweise den schönen und sehr beliebten Flussstrand: Praia Fluvial da Fraga da Pegada.
Brettspiel
Seit 2020 gibt es die Caretos auch als Brettspiel für Kinder und Erwachsene ab 8 Jahren.
4 Kommentare
Hallo Jens
Ich reise zwar nicht mit Kindern, aber ich liebe deine Tipps und Berichte aus Portugal. Das gibt so viele Ideen, wo die Reise abseits der typischen Touristenpfade hingehen könnte. Fasnacht oder Fasching sind eigentlich nicht so meins, aber derartige Bräuche faszinieren mich. Danke auch für die akustischen Eindrücke – das mutet fast nordafrikanisch an. Die Feierlichkeiten waren bestimmt ein eindrückliches Erlebnis mit bleibender Erinnerung.
Herzlichen Dank, Carola. Das freut mich sehr. Und ich bin auch nicht wirklich ein Karneval-Fan, aber hier und dort gibt es schon Varianten, die mir durchaus zusagen, beispielsweise der Karneval der Kulturen in Berlin, bei dem ich sogar oft mitgemacht habe. Du hast übrigens recht, die Dudelsackmusik mit Trommelbegleitung erinnert durchaus an nordafrikanische Musik!
Danke für diese herrlichen Eindrücke. Ich war ja schön öfter mit dem Camper in der Region, aber dass es dort an Fasching so zugeht, davon hatte ich gar keine Ahnung. Das will ich mir unbedingt auch einmal ansehen.
LG Katja
Ja, in Trás-os-Montes gibt es schon einiges zu erleben. Die Freitag 13 Feste solltest Du Dir dann vielleicht auch gleich ansehen. Ich habe sie in meinem Artikel über das Halloween-Fest von Vilar de Perdizes erwähnt: https://www.portugalmitkindern.com/das-gruselige-halloween-fest-in-vilar-de-perdizes-dem-unheimlichsten-dorf-portugals/
Ich hoffe, Du hast bald einmal Gelegenheit dazu.
Herzliche Grüße, Jens