Der perfekte Soundtrack für Eure Portugalreise
Natürlich denkt jeder bei portugiesischer Musik zuerst an den Fado. Zu Recht, denn dieser Musikstil steht für Portugals melancholische Musik schlechthin und wird hier schon seit 2 Jahrhunderten praktiziert und beständig weiter entwickelt. Ursprünglich in den Armenvierteln der Lissabonner Mouraria entstanden, hat er sich schnell bis in bürgerliche Salons verbreitet und wird heute nicht nur in touristischen Fado-Lokalen vorgetragen, sondern in unzähligen Konzerten, im Fernsehen und natürlich auch im Radio. Dort gibt es sogar einen Sender, der sich ganz dem Fado verschrieben hat: Rádio Amália. Diesen bekommt Ihr übrigens fast immer zu hören, wenn Ihr in ein Taxi in Lissabon einsteigt.
Auch ich bin Fan dieser melancholischen Musik, genieße die beständige Gratwanderung zwischen frohem und traurigem Ausdruck, der manchmal nur für die Wiederholung einer Liedzeile gewechselt wird und diese mit erstaunlich unterschiedlicher Wirkung interpretiert.
Não sei se dura sempre esse teu beijo
Ou apenas o que resta desta noite
O vento, enfim, parou
Já mal o vejo
Por sobre o Tejo
E já tudo pode ser
Tudo aquilo que parece
Na Lisboa que amanhece.
Ich weiß nicht, ob dein Kuss für immer anhält
Oder nur noch für das, was von dieser Nacht übrig bleibt
Der Wind hat endlich nachgelassen
Ich sehe ihn kaum noch
Über den Tejo
Und jetzt darf alles so sein
Wie es aussieht
In der Morgendämmerung von Lissabon.
Sérgio Godinho
Die faszinierende Fadista Gisela João
Gisela João kommt eigentlich aus dem Norden, lebte eine Weile in Porto und zog dann 2011 in die Lissabonner Mouraria, um sich als Fado-Sängerin einen Namen zu machen. Nach 2 Jahren gelang ihr dies mit ihrem vielgelobten Debüt-Album. Und sie gilt seither als eine der bedeutendsten Fado-Stimmen seit der großen Amália Rodrigues. Seitdem sang sie in Filmen, im Fernsehen, bei unzähligen Konzerten und auf den größten Bühnen Portugals. Ich habe sie zum ersten Mal bei einem Gastauftritt bei einem Konzert von Sergio Godinho gesehen und ihre sympathische Art, verbunden mit ihrer außergewöhnlichen Stimme haben mich sofort für sie eingenommen.
Gisela João interpretiert einen Fado-Klassiker in der Lissabonner Mouraria
Deolinda – humorvolle und kritische Combo aus Lissabon
Im Jahr 2006 trafen die sehr musikalischen Brüder Pedro da Silva und Luís José Martins ihre Lissabonner Cousine Ana Bacalhau und deren späteren Ehemann José Pedro Leitão und kamen beim gemütlichen Dinnieren auf die Idee, die von Pedro geschriebenen Lieder über eine fiktive Lissabonnerin (Deolinda) zusammen zu vertonen. Diese Zusammenkunft der vier bereits in anderen Band-Projekten erfahrenen Musiker bahnte ihnen rasch einen Durchbruch im portugiesischen Musikgeschäft und schon 2008 verkauften sie ihr Debütalbum so zahlreich, dass sie dafür Doppel-Platin gewannen.
Die fiktive Deolinda lebt mit ihren zwei Katzen und ihrem Goldfisch in einer Wohnung in einem der vielen Lissabonner Vororte und beobachtet und kommentiert die Welt aus ihrem Fenster satirisch, humorvoll und auch kritisch.
So landete die inzwischen in ganz Europa bekannte Band 2011 mit ihrem Song Parva que Sou (Wie blöd ich bin), einen Hit, der in Portugal als Hymne einer Generation gefeiert wurde. Darin geht es um Akademiker, die unbezahlt als Praktikanten arbeiten müssen. Als wir 2011 in London ein Konzert von Deolinda besucht haben, dass zum größten Teil von Exil-Portugiesen bejubelt wurde, die ja nun gerade oft aus ökonomischen Gründen ihre Heimat verlassen hatten, spürten wir die Begeisterung der Menschen, bei diesem überraschend vorgetragenen ironischen Song. 2017 hat Deolinda eine Pause auf unbestimmte Zeit angekündigt, aber sie haben für diese Wartejahre einen Schatz von 4 wunderbaren Alben hinterlassen.
Deolinda lädt zu einem verspielten Spaziergang durch Lissabon ein
Das klassisch portugiesische Bandprojekt Madredeus
1986 gründeten die beiden bereits erfahrenen Musiker Pedro Ayres Magalhães und Rodrigo Leão die bis heute erfolgreiche und international bekannte Band Madredeus. Sie luden noch 3 weitere Musiker zu diesem Projekt ein und auch die musikalisch, zu dieser Zeit noch unerfahrene Sängerin Teresa Salgueiro und probten im Kloster Madre de Deus im Lissabonner Stadtteil Xabregas, von dem sie übrigens auch ihren Namen erbten. Das Kloster ist heute sehr gut zugänglich, da es das sehr sehenswerte Azulejo-Museum beheimatet. International wurde Madredeus vor allem mit Wim Wenders Film Lisbon Story bekannt. Lissabon war 1996 europäische Kulturhauptstadt und Wenders stellte den Charme der Gassen der alten Lissabonner Stadtviertel in seinem Film ebenso eindrucksvoll dar, wie die gefühlvolle, klassisch portugiesische Musik der Band Madredeus.
Nach 20 sehr erfolgreichen Jahren trennte sich die Band 2006 und verschiedene Versuche von Pedro Magalhães und Carlos Maria Trindade, das Projekt mit neuen Musikern fortzuführen waren weitaus weniger erfolgreich, als die Originalbesetzung.
Madredeus und Lisbon Story aus dem Jahr 1996
Die zeitgenössische Lissabonner Sängerin Luísa Sobral
Eines Samstag Nachmittags kam Ana begeistert von dem von uns sonst nur mäßig geliebten “Musik für Babies“-Kurs zurück und erzählte entzückt, dass eine der teilnehmenden Mütter dort Luísa Sobral sei und so wunderschön gesungen hätte, dass alle anderen nur noch zuhören wollten. Die nächsten Wochen waren wir beide deutlich motivierter, unsere Jüngste zu diesem Kurs zu begleiten, aber ich hatte leider trotzdem keine Gelegenheit, die Sängerin live zu erleben. Erst in diesem Jahr stolperten wir bei dem sehr charmanten kleinen Musikfestival Bons Sons, welches jedes Jahr im Sommer in dem gemütlichen Dorf Cem Soldos, nahe Tomar veranstaltet wird, zufällig in ein wunderschönes Konzert dieser in Portugal sehr bekannten Jazz- und Soul-Sängerin. Das gut besuchte Konzert in einem Obstgarten am Hang, der unter dem in Portugal weiblichem Mond, zu einem natürlichen Amphitheater wurde, hat auch unseren Kindern sehr gefallen. Spätestens seit das Lied Amar pelos dois von ihrem jüngeren Bruder Salvador Sobral 2017 Portugal zum ersten Mal zum Gewinner des Eurovision Song Contests gemacht hatte, kannte nun auch ich dessen Komponistin Luísa Sobral. Dieses Lied gehört übrigens bis heute zum täglichen Repertoire von Anas Schlafliedern.
Luísa Sobral singt in ihrem Album Lu-Pu-I-Pi-Sa-Pa von ihren Kindheitserlebnissen und übrigens ausdrücklich für Familien mit Kindern, die z.B. gerade ihre verschlafenen Kids zur Schule bringen. Der Albumname leitet sich aus der bei portugiesischen Kindern beliebten P-Sprache ab und bedeutet schlicht Luísa. Diese Spielsprache entspricht z.B. der mir aus meiner Kindheit noch sehr vertrauten Löffelsprache, in der das Album Lu-lewu-Ilewi-Salewa genannte worden wäre.
Die Liedermacher Jorge Palma und Sergio Godinho
Sergio Godinho und Jorge Palma kann man inzwischen als Urgesteine der portugiesischen Musikszene ansehen. Beide haben einige Zeit im Exil verbracht, weil sie den Wehrdienst in den Ex-Kolonien verweigerten sind dann nach der Nelkenrevolution wieder zurück nach Portugal gekommen und haben hier auf unterschiedliche Weise Karriere als Musiker gemacht. Sergio Godinho als poetischer Liedermacher, Schauspieler und Theaterregisseur, Jorge Palma als Liedermacher und Rockmusiker, der auch viele Jahre als Straßenmusiker in Paris, Spanien, Brasilien und den USA verbrachte. Er wird in Portugal auch gerade wegen seines unabhängigen Lebensstils geachtet. Im September 2015 haben die beiden zusammen während eines Live-Konzertes ein sehr hörenswertes Album aufgenommen: Juntos ao Vivo no Theatro Circo.
Ausschnitt aus dem Konzert von Jorge Palma und Sérgio Godinho in Braga (September 2015)
Unbeschwerter Stilmix aus Almada – Die Band Oquestrada
Die Band Oquestrada wurde 2002 von der Schauspielerin und Musikerin Marta Miranda und dem französischen Musiker Jean Marc Pablo in Almada, also auf der Südseite des Tejos gegenüber von Lissabon gegründet. Der Bandname verweist auf ihren Wunsch als mobiles Unterhaltungsorchester nahe an der Straße und damit am Leben der Menschen zu musizieren und zu unterhalten. 2009 veröffentlichten sie ihr erstes Album und sind seitdem national und international ausgesprochen erfolgreich. Wir haben Oquestrada zum ersten Mal 2011 bei einem relativ großen Konzert im Centro Cultural de Belém gesehen und waren begeistert von deren fröhlichem und schwungvollen Auftritt.
Afrobeat und Blues vom Tejo – Der großartige Kimi Djabaté
In meiner Magisterarbeit widmete ich mich vor 20 Jahren den legendären westafrikanischen Griots und als ich zum ersten Mal einem Griot-Vortrag in Berlin Neukölln lauschen konnte, war ich schlicht begeistert. Hier in Lissabon machte mich der Zufall mit dem Musiker Kimi Djabaté bekannt, der in Guinea-Bissau in der Tradition der Griots aufwuchs und zur selben Zeit nach Lissabon umsiedelte, in der ich diese Stadt zum ersten Mal besuchte. Er ist inzwischen mit vielen bekannten Größen der Weltmusik-Szene aufgetreten, wie Mory Kanté, Waldemar Bastos oder Netos de Gumbé und Ihr könnt ihn häufig in Lissabon oder auf den großen portugiesischen Musik-Festivals hören und sehen. In den letzten Jahren hat er auch viel mit Madonna zusammengearbeitet, die für einige Jahre mit ihrer Familie in Lissabon gelebt hat und hat entscheidend zu ihrem sehr erfolgreichen Song Ciao Bella beigetragen. Gerade hat Kimi einen neuen Song herausgebracht, in dem er sich entschieden für Kinderrechte einsetzt.
Dieser Video-Clip mit Kimi Djabaté wurde in Belém bei Lissabon produziert
Der Singer/Songwriter JP Simões
Der portugiesische Schriftsteller, Musiker und Schauspieler John Paul Nunes Simões ist seit 1995 sehr erfolgreich in verschiedenen Band-Projekten aktiv (Pop Dell’Arte, Belle Chase Hotel, Quinteto Tati). Seit 2007 veröffentlicht er als JP Simões mehrere Alben, in denen er sich als hervorragender Geschichtenerzähler mit Gitarre zeigt. In seinem Album Rome (2013) verweist er mit dem Song Goste de me drogar, auf den gleichgültigen Umgang der Gesellschaft mit Bombenanschlägen und Kriegen. Der Protagonist, der durch die Innenstadt Lissabons streift, bemerkt kaum die zerstörten, leeren Häuser, die Unfalltoten, möchte wegschauen, sich lieber mit Drogen betäuben, da er sowie nichts ändern kann.
Auf seinem bemerkenswerten, neuesten Album Tremble like a flower singt er übrigens auf Englisch und unter dem neuen Pseudonym Bloom, Songs die eher an Folk erinnern, als an alles, was er vorher produziert hat.
Tiago Bettencourt covert António Variações
Als Leadsänger der Band Toranja, veröffentlichte Tiago Bettencourt mit dieser Band 2003 ein erstes Album Esquissos, welches bereits sehr erfolgreich war. Es folgte ein Aufenthalt in Kanada und weitere Alben u.a. mit der Band Mantha.
Hier singt Bettencourt ein berühmtes Stück des herausragenden Musikers António Variações, der als schillernde Persönlichkeit der frühen 1980er Jahre in diesem Jahr eine vielgelobte Filmbiographie (Variações 2019) erhielt.
Die bemerkenswerte Sängerin Márcia
Die Lissabonnerin Ana Márcia de Carvalho Santos ist als Sängerin seit 2009 erfolgreich. Zuvor hat sie Malerei studiert, Dokumentarfilme produziert und schließlich einen Gesangskurs an der Escola de Jazz Hot Clube besucht. Dieser Club gilt übrigens als ältester noch bestehender Jazz Club Europas und befindet sich an der Praça da Alegria in Lissabon.
Márcia’s Erfolg basiert auf einem behutsamen Zusammenspiel ihrer sehr präzise eingesetzten Stimme und einer einfache akustischen Begleitung. Sie singt engagierte Songs, immer auch gerne mit anderen portugiesischen Sängern zusammen, wie bei diesem sehr erfolgreichen Stück mit JP Simões.
Der Troubadour mit Koteletten Samuel Úria
Der sogenannte Troubadour mit Koteletten Samuel Úria wurde als Mitglied der FlowerCaveira Bewegung bekannt. Hierbei handelt es sich um ein unabhängiges Plattenlabel, welches ausschließlich Musik in portugiesischer Sprache und gerne daheim aufgenommene Stücke veröffentlicht. Seit 2008 wird Samuel Úria von den portugiesischen Musikkritikern sehr wohlwollend mit Lob für seine sämtlichen bisherigen Plattenveröffentlichungen bedacht.
Unser Spotify Soundtrack für Eure Portugal-Reise
Vielleicht wollt Ihr Euch schon auf Eure bevorstehende Reise einstimmen, sucht nach einer guten Playlist für Eure Zeit in Portugal oder möchtet Eurem schönen portugiesischen Sommerurlaub noch etwas nachspüren?
Hier habe ich Euch mit umfangreicher Unterstützung meiner Partnerin eine solche Liste zusammengestellt. Diese ist natürlich unspezifisch und keineswegs exemplarisch für den portugiesischen Musikgeschmack. Es handelt sich vielmehr um eine Zusammenstellung zumeist aktueller froher und melancholischer Stücke, die meiner Ansicht nach die portugiesische Gefühlslage ganz gut in Szene setzen und gleichzeitig auch Euren Kindern gefallen werden. Ich habe mich ausschließlich auf portugiesischsprachige Songs konzentriert, da ich der Meinung bin, dass die Sprache Euch noch intensiver einen Eindruck der portugiesischen Kultur vermitteln kann.
Die einzelnen Titel laden natürlich unbedingt zum weiterstöbern ein.
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Fado in Lissabon
Tasca do Chico
Hier findet Ihr authentischen Amateur-Fado, obwohl die Bar in der Lissabonner Baixa das größere Erlebnis garantiert, eignet sich für Familien besser die etwas touristischere Dependance in der Alfama (Rua dos Remédios 83), in der man auch einen Tisch reservieren kann. Hier wird man jedoch dazu angehalten, ein kleines Abendessen einzunehmen. Für Vegetarier ist das allerdings nicht ganz einfach. Wenn ich dort bin, nehme ich daher eine Caldo Verde Suppe, unbedingt: „Sem Chouriço“.
www.facebook.com/atasca.dochico
Der Vortrag des Fado wird auch hier sehr ernst genommen und bei den mehrfachen etwa 20-Minütigen Vorführungen, solltet Ihr unbedingt vermeiden zu sprechen. Wenn Eure Kinder das nicht können, würde ich von einem Besuch dort eher abraten.
Azulejo-Museum (Madre de Deus Kloster):
Museu Nacional do Azulejo
museudoazulejo.gov.pt
Familienfreundliche Musik-Festivals in Portugal
Im Sommer finden im ganzen Land eine Vielzahl von Musik-Festivals statt, von denen nicht wenige ausgesprochen Familienfreundlich sind. Hier findet Ihr einige Beispiele:
Das Andanças Festival (Castelo de Vide)
andancas.net
Bons Sons (Cem Soldos, Tomar)
bonssons.pt
Das Weltmusik-Festival Sines (Sines)
fmmsines.pt
Salvador Sobral gewinnt 2017 mit seinem Song: Amar pelos dois zum ersten Mal für Portugal den Eurovision Song Contest
1 Kommentar
Lieber Jens,
was für eine coole Sammlung – leider kenne ich bisher keinen deiner Vorschläge.
Seit ich Studierende auf ihrem Auslandssemester in Lissabon begleite, ist diese Stadt aber ganz weit oben auf meiner Reise-Wunschliste gelandet.
Viele Grüße von Sanne